Die
Geschichte vom reichen Herrn
Kannitverstan
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In Holland, einem Land am Meer,
in Amsterdam, so heißt die Stadt
da wohnte einst ein reicher Mann.
Der wurde niemals richtig satt.
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Er aß vom Morgen bis zum Abend
und auch noch mitten in der Nacht.
Wenn seine Diener wenig brachten,
dann hat er gleich Radau gemacht.
Er schrie, er schimpfte: „Faules Pack!
Bringt mehr, bringt mehr, im großen Sack!“
Obwohl er hundert Schätze hatte,
erzählte er: „Bin arm und lahm!“
wenn dort ein andrer hungrig war
und bittend, bettelnd zu ihm kam.
„Bedaure sehr. Ich habe nichts!“
So log er oft. „Das siehst Du doch!
Ich bin ganz matt. Ich bin ganz krank.
Ich steh an meines Grabes Loch!“
Wenn jemand dann noch bat und flehte,
erklärte er: „Kannitverstan ...
Kann nicht verstehen, was du willst.
Ich hätte es ja gern getan.“
So log er, so betrog er sie.
Wer dieses tut, der ist nicht gut.
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Die Menschen nannten ihn zuletzt
den dicken Herrn Kannitverstan.
Und viele sagten außerdem:
Der Arme platzt noch irgendwann!
Ja, wirklich, die Gefahr war groß.
Drei Zentner wog sein schwerer Leib.
Kannitverstan aß ohne Freude
und ohne Dank, zum Zeitvertreib.
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Kein Wunder, dass bald Sorgen kamen.
Der Dicke war nicht mehr gesund.
Ihn plagten zweiundzwanzig Schmerzen!
Für alle gab’s nur einen Grund.
Von vielen Ärzten Amsterdams
bekam er Säfte, Pulver, Pillen
und alles, was er sonst noch wollte.
Sie fragten stets nach seinem Willen.
Zuletzt geschah es, dass er stündlich
ein viertel Pfund Arzneien schluckte
und abends stöhnend überlegte,
warum er rülpste, würgte, spuckte...
Dem dicken Mann tat alles weh,
vom Glatzkopf bis zum kleinen Zeh.
Hurra! Die Rettung! rief er schließlich.
In seiner Zeitung tat man kund,
dass weit entfernt ein Doktor lebte.
Der machte jeden schnell gesund.
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Er schrieb ihm einen langen Brief,
in dem er alle Leiden nannte.
Der Doktor war ein kluger Mann,
der wirklich Kranke schnell erkannte
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Er schrieb schon bald im Antwortbrief:
„Verehrter Herr, du bist bald tot...!
In Deinem Bauch kriecht ein Wurm!
Der liebt seit langem schon das Brot,
den Kuchen, Schinken, die Pasteten
und alles, was Du gerne isst.
Ich sage dir, dass dieses Tier
am Ende Deinen Leib noch frisst!
Dir kann ich leider nur noch helfen,
wenn Du, verehrter Herr, sofort
zu Fuß in meine Praxis kommst.
Die Medizin gib´s hier im Ort!
Verboten sind Dir Bahn und Wagen.
Und keineswegs ist es gestattet,
Dich auf ein armes Pferd zu setzen,
auch wenn das Gehen Dich ermattet.
Erlaubt ist Dir ein viertel Brot
am Morgen und zuletzt am Abend.
Und trinken musst Du klares Wasser.
Das stillt den Durst und ist erlabend.
Nur Du bestimmst nun, was geschieht.
Du musst dich heute noch entscheiden.
Vielleicht wirst Du schon bald gesund.
Vielleicht musst Du den Tod erleiden.“
Der Doktor sagte ihm mit List,
was ihr, die Kinder, längst schon wisst.
Der Dicke rief in großer Angst:
„Dann tu ich gleich, was du verlangst!“
Kannitverstan begann sofort
den langen Marsch zur fernen Stadt,
wobei er in den ersten Tagen
kein Wunder! nichts geleistet hat.
Sehr langsam kam er da voran.
Er schaffte schnaufend ein, zwei Meilen.
Dann kroch er fast zu jeder Bank,
um dort ermattet zu verweilen.
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So manche Schnecke trat er platt.
Und grimmig war sein Angesicht.
Dass andre Menschen freundlich grüßten
bemerkte dieser Trottel nicht.
Doch als der fünfte Tag begann,
da rief er laut: „Was ist denn das?
Die Sonne scheint wie nie zuvor
und funkelt blank wie Gold im Gras!“
Am sechsten Tage hörte man
schon früh am Morgen, dass er sang.
Er konnte gehn wie Ihr und ich
und fühlte sich kein bisschen krank.
Am siebten Tage war gewiss:
Kannitverstan, dem ging es gut.
Er hüpfte gern auf einem Bein
und winkte oft mit seinem Hut.
Und als er zu dem Doktor kam,
nach vierzehn schönen Wandertagen,
da war er fast ein schlanker Mann
und konnte überglücklich sagen:
„Herr Doktor, Du, ich bin gesund
und kenne Deine Heilarznei!
Die nehme ich jetzt jeden Tag.
Mein Ehrenwort: Es bleibt dabei!“
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Der Doktor sagte, weise lächelnd:
„Verehrter Herr, sehr schön, sehr schön.
Der Wurm ist tot. Was noch geschieht,
das wird man erst nach Jahren sehn.
Der Wurm hat Eier abgelegt.
So hundert sind das sicherlich.
Die kriegen wir nicht mehr heraus –
und sind auch gar nicht hinderlich.
Wenn du jedoch wie früher lebst,
dann kriecht ein Wurm aus jedem Ei.
Du wirst von innen aufgefressen -
und alles ist im Nu vorbei!
Nun geh zu Fuß zurück nach Haus.
Bewege dich und iss so viel,
dass täglich etwas Hunger bleibt.
Gib deinem Leben schnell ein Ziel.
Ich wünsche einen guten Tag.
Die Rechnung schicke ich bald nach.“
Kannitverstan rief: "Tausend
Dank!"
Und ging dann sehr vergnügt nach Haus.
Er schaffte das in sieben Tagen
und sah fast wie ein Läufer aus.
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Er grüßte jeden, den er traf,
und alle blieben staunend stehn.
Die Menschen riefen überrascht:
"Oh Herr! Ein Wunder ist geschehn.
Den dicken, dummen, faulen Mann,
sieht hier in Holland niemand mehr.
Kannitverstan ist klug und schlank.
Als neuer Mensch kommt er daher."
Fast alle Armen wussten bald:
Kannitverstan war hilfsbereit.
Sein Haus war niemals abgeschlossen,
und Hilfe gab’s bei jedem Leid.
Er baute eine große Küche
für mehr als hundert alte Leute,
in der er allen Tische deckte
und sie mit guter Kost erfreute.
Persönlich aß nie zu viel.
Er kannte ja die Heilarznei
und lebte fortan jeden Tag
bescheiden zwar, doch sorgenfrei.
Nur als er starb, mit hundert Jahren,
hat man im Wagen ihn gefahren.
Er wäre gern zu Fuß gegangen,
als seine Sterbeglocken klangen.
Doch dieses konnte nicht geschehn.
Den letzten Weg kann niemand gehn.
Kannitverstan zur Ehre sangen
die Kinder dort ein schönes Lied.
Ich bin erst neulich hingegangen –
und hörte, dass dies noch geschieht.
Ich hörte, wie ein Echo klang,
das weder Schmerz noch Trauer litt.
Vom Himmel kam’s wie ferner Dank:
Kannitverstan sang fröhlich mit.
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